Saturday 30 November 2019

Comedy works better in episodes.


There’s rarely a moment I’d prefer a serial over a movie.
With one notable exception: Comedy. I just think it works better in episodes.
I realized that after watching two Sacha Baron Cohen movies.
Both Ali G Indahouse (2002) and Borat: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan (2006) are huge cinematic failures.
In the case of Ali G it's pretty obvious. They completely changed the formula to pure fiction.
Instead of real-life people getting annoyed at Ali G's out-there worldviews, here's some fictional politicians rolling their eyes. Wow, hilarious.
Without the real-life setting as a contrast the movie becomes as shallow, immature and plain stupid as its main character.
But the problem runs deeper. Because if you think about it: What could they have done?
The only other strategy would be the one they tried with Borat four years later.
That is, have SBC run around as Borat while real people react to him.
Then counstruct a pointless story around these detached episodes.
The single episodes might be funny or insightful, but the movie as a whole surely isn't.
It's sappy and doesn't fit SBC's satirical tone.
On the other hand, if you would stick to an episodic structure, why make a full-lenght movie at all?
There's a good reason Ali G and Borat started by doing short interviews.
Sometimes the obvious format is the best one.
And that's why, sometimes, you should stick to that format.
A full-lenght pure comedy movie that actually works is a rare thing indeed.
Maybe Monty Python's Life of Brian (1979) is one of those rare masterpieces.
Holy Grail and The Meaning of Life are far inferior.
Because they, too, are trapped in episodic thinking that doesn't translate well to the big screen.

Friday 29 November 2019

Kitsch of the Rainforest

I recently watched the Swiss movie Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes.
The official English title is Paradise War – The Story of Bruno Manser.
The actual translation would be "Bruno Manser – The Voice of the Rainforest".
I guess. Yeah. That is corny.
Manser was a Swiss activist fighting for the Penan, indigenous people threatened by the lumbering of the rainforest.
He certainly was a hero and it's fine that the director portrayed him as such.
But my God, are the pictures gaudy. The rainforest is romanticised to no end.
It just doesn't look real. It's "Paradise" alright, because there's no paradise on earth.
The music by Oscar-winning composer Garbiel Yared doesn't help either.
Obtrusive and overly sentimental.
It's astonishing how a movie about a serious and very real topic can fall victim to cliché-ridden plot points, love story and villain included.
A disappointment.
But what am I complaining about?
Having watched the trailer beforehand, I shouldn't be surprised.

Sunday 25 June 2017

The Woman in Black (2012)

Sympathische Geisterbahn für Horror-Nostalgiker

Armer Arthur Kipps. Der alleinerziehende Vater wird von seiner Anwaltskanzlei in die Pampa geschickt, um dort einen mühseligen Auftrag zu erledigen. Die Papiere der verstorbenen Alice Drablow müssen gesichtet werden. Kipps wird angedroht, dass dies seine letzte Chance sei: Erfolg oder Entlassung. So muss er seinen Sohn in London zurücklassen, in das abgeschiedene Dorf Crythin Gifford reisen, sich dort mit den übellaunigen Bewohnern herumschlagen und in einem klassischen Gruselhaus namens Eel Marsh Akten wälzen. Da kann bestimmt nichts schief gehen. Nur’n Scherz: Natürlich geht alles ganz gründlich schief. Im Dorf sterben plötzlich Kinder unter mysteriösen Umständen, und Kipps scheint von einer Frau in Schwarz verfolgt zu werden. Was steckt dahinter? Verschwörung oder waschechter Fluch? Kipps nimmt all seinen Mut zusammen, um der Sache auf den Grund zu gehen …

The Woman in Black beginnt mit einer Irritation. „Ist das Daniel Radcliffe alias Harry Potter, der da den jungen Vater gibt?“, fragt man sich. Ja, er ist es tatsächlich. Und leider tut er sich schwer, wirklich in die Rolle zu finden. Sein Arthur Kipps bleibt blass, was auch am Drehbuch liegen mag, das unserem Protagonisten kaum Ecken und Kanten gibt. Er ist halt der Typ, der das verfluchte Haus untersuchen muss. Und das genügt auch. Denn Eel Marsh ist ein echtes Prachtexemplar unter den Gespensterhäusern. Es ist alt, zwielichtig und geheimnisvoll.

Der Regisseur James Watkins (Eden Lake 2008) zieht alle Register des wohligen Grusels. Die Einleitung ist klassisch: Ein Fremdling muss sich mit abweisenden und scheinbar abergläubischen Dorfbewohnern arrangieren, bis er schliesslich das Haus betreten darf. Dieses liegt abgeschieden auf einem Moor, das nachts von der Flut überschwemmt wird. Im Haus wird’s ernst: Hier jagt Watkins seinen Protagonisten von einem Jumpscare zum nächsten, fast wie in einer Geisterbahn auf dem Jahrmarkt. Das vermag zu unterhalten, denn die Schockmomente sind gekonnt gesetzt. Dazwischen gibt es immer wieder langsamere Passagen, in denen Kipps dem Mysterium auf die Schliche kommt. Auch der subtile Horror kommt nicht zu kurz; die titelgebende Frau in Schwarz schleicht Schritt für Schritt in den Fokus des Filmes. Wenn die ersten, etwas zähen dreissig Minuten überwunden sind, wird die Dramaturgie knackig und effektiv.

Visuell bietet uns The Woman in Black einige Leckerbissen. Die weitläufigen Aufnahmen übers Moor sind phänomenal, und das Geisterhaus wunderbar atmosphärisch. Wer endlich mal wieder einen stilvollen Geisterfilm schauen will, dürfte mit diesem hier bestens bedient sein. Genrefans werden aber bald feststellen, dass Watkins munter jedes erdenkbare Horror-Klischee abgrast: leblose Puppen, wippende Schaukelstühle, knarrende Türen, diffuse Schatten; die Liste ist endlos. Das hieraus gefertigte Gänsehaut-Patchwork ist zwar mitreissend, aber nur wenig originell. Irgendwie und irgendwo hat man das alles schon gesehen. Dass Anwalt Kipps nicht die charismatischste und tiefgründigste Figur ist, kommt erschwerend hinzu.

Und doch: Es ist erfrischend zu sehen, dass ein traditioneller Grusler – noch dazu von der legendären Produktionsfirma Hammer (The Curse of Frankenstein 1957, Dracula 1958 und The Mummy 1959) – auch heute noch gut funktionieren kann. So kann man sich denn auch mit den zahlreichen Klischees versöhnen: Sie machen den Film sympathisch rückwärtsgewandt, zumal sie nett zusammen geschustert sind. The Woman in Black ist ein ungeschickter, aber charismatischer Liebesbrief an Horror-NostalgikerInnen: Er verfolgt moderne Ansätze, bleibt im Kern aber konservativ. Das wird niemanden umhauen. Aber für eine Sichtung am heimischen Bildschirm reicht’s – am besten dann, wenn’s draussen ordentlich stürmt. 

7/10

Friday 23 June 2017

Nymphomaniac Vol. I & II (2013)

Lars von Trier und das Ende der Erotik

(Die folgende Rezension enthält leichte Spoiler.)

Der Bücherwurm Seligman trifft des Nachts auf eine Frau: misshandelt liegt sie auf dem Boden einer dunklen Gasse. Sie beschwört Seligman, ja nicht die Polizei einzuschalten. Mitleidig nimmt der ältere Herr die Frau zu sich nachhause, damit sie sich erholen kann. Sie stellt sich als Joe vor und bezeichnet sich mit gewissem Stolz als Nymphomanin. Die Nacht ist noch jung, und Joe hat Einiges zu erzählen. Gespannt lauscht Seligman den gewagten und sonderbaren Geschichten der Sexsüchtigen …

Skandalregisseur Lars von Trier (Idioterne, Antichrist) hat ein besonderes Verhältnis zur Geschlechtlichkeit. Bei ihm ist Sex niemals nur Spass, sondern immer durchtränkt mit Sünde, Gewalt und Verzweiflung. Nymphomaniac greift diesen Nebenstrang seines bisherigen Schaffens auf und widmet ihm einen fünfstündigen Mammut-Film. Die Ausgangslage gibt Anlass zur Sorge: Kann von Trier, der Sexszenen bisher vorwiegend für extreme Schockmomente genutzt hat, das Thema über mehrere Stunden spannungsvoll behandeln? Die Antwort: Ja, er kann. Und er tut das mit einer Subtilität und Vielseitigkeit, die positiv überrascht.

Nymphomaniac tritt uns als zweiteiliger Film entgegen, obwohl er als ein Werk konzipiert wurde. Volume I beschreibt Joes Suche nach immer intensiveren Gelüsten, um in der Katastrophe – der völligen Übersättigung und Gefühllosigkeit – abzubrechen. Volume II zeigt Joes Absturz in die sexuelle Perversion, bei dem die Lust in Selbstzerstörung umschlägt. Von Trier zeichnet einen Epos der Hypersexualität, der an Drastik und Zielsicherheit kaum zu überbieten ist. Allein dafür muss man ihm Respekt zollen, ob man den fertigen Film nun liebt oder hasst. Dieser ist weniger skandalträchtig, als eingangs zu erwarten war: die Sexszenen sind zwar zahlreich und unverblümt, jedoch immer geschmackvoll – jedenfalls in der vorliegenden zensierten Fassung. (Es soll ja noch einen unzensierten Director’s Cut geben. Allerdings ist fraglich, ob dieser der Substanz der Geschichte etwas Neues hinzuzufügen vermag.)

Die sinnlichen Partien des Filmes werden durch philosophische Dialoge zwischen Joe (Charlotte Gainsbourg) und Seligman (Stellan Skarsgård) kommentiert und erklärt. Das Schauspiel Gainsbourgs und Skarsgårds ist exquisit. Die Gespräche machen Nymphomaniac überraschend zugänglich, da mit Seligman jemand mit von der Partie ist, der Joes Provokationen kritisch und intelligent zu hinterfragen imstande ist. Er ist die Stimme der Vernunft, mit der sich das Publikum identifizieren kann. Schon die Rahmenhandlung des Filmes gibt Anlass zu zahlreichen Vergleichen: Joe und Seligman: Die Beichtende und der Pfarrer? Die Hysterische und der Psychoanalytiker? Scheherazade und Schahriyâr? Oder ganz allgemein: Die Frau und der Mann? Die verschachtelte Erzählweise mit doppelten Böden und ironischen Zwischentönen ist ein intellektueller Spielplatz für Psychologie, Philosophie, Gender Studies und Filmwissenschaft.

Letztlich geht es in Nymphomaniac nicht um Sex, sondern um Verzweiflung. Joes Nymphomanie ist nur ein Symptom ihrer Einsamkeit. Die besten Szenen des Filmes sind diejenigen, in denen es emotional ans Eingemachte geht. Wenn Joe mit der Ehefrau einer ihrer Liebhaber (entfesselt gespielt von Uma Thurman) konfrontiert wird, stellen sich einem die Nackenhaare auf. Oder dann, wenn die junge Joe in einer Rückblende dem krankhaften Wahnsinn ihres Vaters beiwohnt. Ja, in der Darstellung existentieller Extremsituationen hat es von Trier wahrlich zur Meisterschaft gebracht. Er sieht gerade da genau hin, wo andere Regisseure lieber wegschauen – oder die Dramatik mit kitschigen Schleifchen umwickeln.

Nymphomaniac scheint das Ende der Erotik zu bezeichnen: Joe behauptet, Sex habe nichts mit Liebe zu tun, und Erotik sei direkte Lusterfüllung. Aber es ist von Anfang an klar, dass Joes Begriffe von Liebe und Erotik völlig absurd sind. Sie versteht gar nicht, was Liebe überhaupt ist. Jedoch sind all ihre Eskapaden von einer geheimen Sehnsucht getragen: dem Verlangen nach Liebe. Und dass das Publikum diese Sehnsucht – zusammen mit Seligman – erahnt, gibt selbst dem leersten Geschlechtsakt, der brutalsten BDSM-Praxis eine traurige Würde. So wird das Ende der Erotik gleichzeitig zum paradoxen Gipfel der Erotik. Wenn Schmerz zu Lust wird, ist der Höhepunkt der Verzweiflung erreicht.

In anderen Filmen wird die Hypersexualität durch die Liebe geheilt – etwa in David Wnendts ausgezeichneter Romanverfilmung Feuchtgebiete (2013), die in vielerlei Hinsicht als Antithese zu Nymphomaniac gelesen werden kann. Bei von Trier bleibt am Schluss nichts als Demütigung, Einsamkeit und Frustration. Nymphomaniac ist die konsequenteste Geschichte einer Selbstzerstörung, die man sich vorstellen kann: komplex, aufwühlend, mutig. Man mag das Gezeigte verachten und als selbstgefällig verschreien. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass hinter diesem Film verletzliche, kunstvolle und kluge Ideen stecken.

10/10

Saturday 10 June 2017

Battle Royale (2000)

Platte Sozialsatire, blutig verpackt

(Die folgende Rezension enthält leichte Spoiler.)

Im Asien der nicht allzu fernen Zukunft ist das Realität, was Sokrates angeblich schon immer wusste: Die Jugend ist verdorben und respektos. Die Jugendkriminalität hat derart drastische Ausmasse angenommen, dass die Regierung dringend etwas dagegen unternehmen muss. Der Masterplan? Ganz einfach: Man nehme jedes Jahr eine zufällige Schulkasse, entführe sie auf eine abgelegene Insel und lasse sie gegeneinander kämpfen, auf Leben und Tod. Das bringt den kleinen Rackern bestimmt Manieren bei … Na ja, vielleicht auch nicht. Immerhin kann man das Spektakel als Reality Show vermarkten und dabei gehörig Kasse machen.

Battle Royale (2000) geht mit einer Direktheit ans Werk, die einem ein anerkennendes, wenn auch stirnrunzelndes Nicken entlockt. Der Regisseur Kinji Fukasaku (Fukkatsu no hi) verschwendet kaum eine Minute, bis er die Schulkasse mit dem tödlichen Spiel konfrontiert. Der ehemalige Klassenlehrer Kitano führt seelenruhig in die Spielregeln ein: Nur ein Mitglied der Klasse kann überleben, alle anderen müssen sterben. Jeder Schüler erhält eine zufällige Waffe, und los geht’s. Was geschieht? Nach einem anfänglichen Scharmützel raufen sich die Schüler in Grüppchen zusammen und versuchen, der unmenschlichen Ausgangslage zu entkommen – und zwar alle auf ihre je eigene Weise. Einige begehen Suizid, andere versuchen das System zu sabotieren, wieder andere metzeln ihre eigenen Freunde rücksichtslos nieder. Dabei bedient sich Fukasaku einer unverblümten, unaufgeregten Brutalität. Er zeigt uns genau das, was zu erwarten ist: erst hoffnungsloser Widerstand, dann Verrohung und schliesslich Chaos. Fatalistisch scheint der Film auf das zuzusteuern, was Kitano vorgesehen hat: auf das Überleben eines Einzelnen, der seinen Sieg bitter und unmoralisch erkämpft hat.

Das Geschehen nimmt sich aus wie eine pointierte, plakative Version von William Goldings Roman Lord of the Flies (1954). Kann uns Battle Royale etwas Neues bieten? Kaum. Explizite Gewalt ist kein Ersatz für tiefe Emotionen. Und Tiefe fehlt diesem Film tatsächlich, auch wenn er uns mit diversen surrealen Sequenzen etwas anderes vorgaukeln will. Eine Mediensatire ist Battle Royale nicht länger als fünf Minuten lang, und als Gesellschaftssatire ist das Gezeigte zu durchschaubar. Man kann es niemandem verdenken, der nach dem Film schulterzuckend fragt: „Und nu’?“ Interessant ist allenfalls die psychische Verfassung des Klassenlehrers Kitano (wunderbar flapsig gespielt von Takeshi Kitano), der im Zentrum einiger Szenen steht, die von Park Chan-wook (Oldboy, Lady Vengeance) hätten gedreht werden können. Aber die Symbolik dieser traumartigen Szenen ist neblig, und Kitanos Motive bleiben entsprechend undurchsichtig.

Battle Royale punktet vor allem mit seinem Unterhaltungswert. Es ist packend, der blutigen Selbstzerstörung der Klasse beizuwohnen. Fukasakus Inszenierung ist grundsolide, vor allem bei den Actionszenen – die übrigens gar nicht so schockierend sind, wie manchmal suggeriert wird. Fukasaku tut sein Möglichstes, um die Schüler nicht auf Kanonenfutter zu reduzieren. Dass er an dieser Aufgabe scheitert, ist nicht ihm anzulasten, sondern dem überladenen Plot. Man mag einwenden, dass die Pointe ja gerade darin bestehe, die 42 Schüler auch auf filmischer Ebene zu instrumentalisieren. Das kann aber nicht stimmen, da sich Fukasaku durchaus um emotionale Zugänglichkeit bemüht. Battle Royale ist keine nihilistische Zuschauerfolter à la Die 120 Tage von Sodom. Es handelt sich um ein Action-Thriller mit zynischer Prämisse, in dem sich zuletzt – und allen Befürchtungen zum Trotz – Zuversicht einstellt. Es ist eine Zuversicht, die letztlich fast naiv wirkt – und Battle Royale als Unterhaltungsfilm ausweist, der mehr sein will, aber nicht mehr sein kann.

Was bleibt? Eine Schulkasse, die sich selbst zerfleischt. Eine vielversprechende Prämisse, spannend umgesetzt. Für einen kurzweiligen Filmabend reicht das. Aber die Idee hätte wesentlich mehr hergegeben. Wen das Thema „Krieg im japanischen Klassenzimmer“ interessiert, ist mit Tetsuya Nakashimas vielschichtigem Psychogramm Confessions (2010) besser bedient.

6/10

Wednesday 17 May 2017

Die Göttliche Ordnung (2017)

Emanzipation à la Suisse: wohlgefällig und verschmitzt?

1971, in einem Schweizer Dörfchen: Nora (Marie Leuenberger) ist eine fleissige Hausfrau, die alles für ihren Mann Hans (Maximilian Simonischek) erledigt. Als Hans ihr verbietet, sich als Sekretärin in einem Reisebüro zu bewerben, setzt sich die bisher unpolitische Nora mit der Frauenbewegung der 68er auseinander. Zusammen mit drei Freundinnen – einer quirligen Oma (Sibylle Brunner), einer zugewanderten Italienerin (Marta Zoffoli) und einer misshandelten Bäuerin (Rachel Braunschweig) – versucht sie ihr Heimatdorf für die Anliegen der Frauen zu sensibilisieren; besonders im Hinblick auf die nahende Abstimmung über das Frauenstimmrecht. Mit ihrem Kampf seht sie mehr aufs Spiel, als nur ihre Ehe …

Die Göttliche Ordnung beschäftigt sich mit einem peinlichen Kapitel der Schweizer Geschichte: der erschreckend langsamen Einführung des Frauenstimmrechts. Was ein moralinsauerer Film hätte werden können, kommt erfrischend locker daher. Drehbuchautorin und Regisseurin Petra Volpe macht aus ihrer Hauptfigur keine flammend ernste Frauenrechtlerin: Nora ist in erster Linie eine kluge und liebevolle Mutter, die sich zunächst nur mit Widerwille und Schüchternheit aufs politische Parkett begibt. Die humorvollsten Szenen des Filmes spielen mit der Prüderie der vier Dorffrauen. Etwa dann, wenn sie nach Zürich an eine Demonstration reisen und von der Freizügigkeit der Stadt überrumpelt werden.

Der Plot folgt einem konventionellen Muster: Es geht um eine Aussenseiterin, die sich gegen eine Mehrheit durchsetzen muss, und dabei immer mehr Verbündete findet. Wenn sich die Frauen des Dorfes streikend im Gasthaus verschanzen und zusammenraufen, dann ist das ein überaus sympathisches Treiben. Es täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die Story bis aufs Letzte vorhersehbar ist. Volpe geht inhaltlich kaum Risiken ein. Auch stilistisch verweilt sie im Bereich einer edlen Fernsehproduktion. Immerhin dürfte die zugängliche Präsentation dafür sorgen, dass der Film ein breiteres Publikum findet – was bei der Thematik natürlich durchaus zu begrüssen ist.

Die grössten Qualitäten des Filmes liegen sicherlich im Schauspiel. Marie Leuenberger als Nora ist bezaubernd: ihre Verwandlung von der schüchternen Mutter zur mutigen Politikerin ist ausserordentlich reizvoll. Sibylle Brunner mimt die forsche alte Dame mit sichtlichem Genuss, und Rachel Braunschweig als unglückliche Bauersfrau verleiht Die Göttliche Ordnung eine willkommene, emotionale Tiefe. Auch Maximilian Simonischek als Noras Ehemann Hans zeigt eine nuancierte Leistung: Er ist zwar fürs Frauenstimmrecht, muss aber aus politischen und beruflichen Gründen zurückhaltend sein. Simonischek macht diesen inneren Konflikt gut nachvollziehbar.

Obwohl die Dramaturgie des Filmes wenig originell ist, schneidet sie doch spannende und potentiell sperrige Themen an: die Pflichten einer Mutter, häusliche Gewalt, Zivilcourage und sexuelle Frustration. Manche Probleme werden überhastet aufgelöst, und einige Szenen springen zu schnell von Komödie zu Tragödie. Die Geschichte wirkt zuweilen holprig und holzschnittartig. Aber das ist wohl der Preis, den man für Massentauglichkeit zahlen muss.

Die Göttliche Ordnung ist eine verschmitzte und wohlgefällige Aufarbeitung der Schweizer Frauenbewegung in den 70er-Jahren. Sie wird niemanden schockieren, aber auch niemanden völlig begeistern. Als sachte Heranführung an ein wichtiges Thema kann dieser Film bestimmt einen prominenten Platz in der Schweizer Kinolandschaft einnehmen. Aber letztlich ist dieses Portrait der Emanzipation zu formelhaft, um ein echter Klassiker zu werden.

7/10

Monday 8 May 2017

Enter the Void (2009)

Eine manierierte, audiovisuelle Orgie
(Die nachfolgende Rezension enthält Spoiler.)

Da ihre Eltern bei einem Autounfall starben, sind die Geschwister Oscar und Linda seit Kindesbeinen auf sich allein gestellt. Oscar reist nach Tokyo, um sich dort durchzuschlagen. Immer tiefer verstrickt er sich in der dortigen Drogenszene – bis er selbst zum Dealer wird, um seiner Schwester einen Flug nach Japan bezahlen zu können. In Tokyo angekommen, findet die attraktive Linda schnell eine Stelle als Table-Dancerin. So fristen die beiden Waisen ihr Leben im schmuddeligen Underground der Grossstadt. Bis ein schrecklicher Zwischenfall sie für immer trennen wird.

Enter the Void (2009) ist ein filmgewordener, epileptischer Anfall. Schon die Opening Credits dröhnen und flimmern uns entgegen, als wolle uns der Regisseur Gaspar Noé von der ersten Sekunde an mit Sinnesreizen überschwemmen. Dann werden wir in die Ego-Perspektive Oscars geworfen und dürfen einen hübschen Drogentrip miterleben. Sein Kumpel Alex schaut vorbei und hält freundlicherweise eine Exposition über die Wiedergeburt. Daraufhin betritt Oscar die Bar „Void“ und läuft in eine Falle der Polizei, woraufhin er erschossen wird. Das kommt durchaus überraschend, da die Ego-Perspektive eine längere Bindung zum Körper des Hauptcharakter suggerierte. Danach wabert die Kamera als Platzhalter von Oscars Seele durch den Film, schwebt durch das grelle Tokyo und blendet zurück in die Kindheit unseres Protagonisten.

Was Gaspar Noé hier veranstaltet, sieht Kunst zum Verwechseln ähnlich, ist aber letztlich das genaue Gegenteil davon: es ist Kitsch. Enter the Void versucht mit visuellen Spielereien zu irritieren, die durchschaubar, platt und nichts sagend sind. Nach dem Tod Oscars folgt nicht mehr, als eine direkte Umsetzung dessen, was Alex dem Publikum unnötigerweise bereits erklärt hat. Die Kamera übernimmt die Sicht von Oscars Geist und beobachtet, was nach seinem Tode alles geschieht. Auf dem Papier klingt das wie eine vielversprechende Idee, aber Noé kann ihr nichts Originelles abgewinnen. Was Oscar nach seinem Ableben alles mitbekommt, ist grösstenteils ziemlich öde. Der Plot ist vorhersehbar, die Rückblenden in die Kindheit sind uninspiriert und fast klischiert. Darüber kann auch die aufdringliche „Gespensterkamera“ nicht hinwegtäuschen, zumal sie schon bald wie ein Taschenspielertrick wirkt, den Noé über zwei Stunden lang konsequent zu Tode reitet.

„Wie oft kann sich die Kamera in einer Lichtquelle verlieren oder schwindelerregend über den Strassen Tokyos herum torkeln, bis es nur noch nervt?“ – das scheint die Hauptfrage des vorliegenden Filmes zu sein, und die ist dann doch etwas mager. Offenbar hat sich Noé der Aufgabe verschrieben, Enter the Void zu einem physisch spürbaren Erlebnis zu machen. Das ist ihm gelungen. Zu den Nebenwirkungen dieses Filmes gehören Schwindelgefühle und Kopfweh. Manchmal ist er so grell, dass man die Augen schliessen muss. Als Idee ist das ja nicht uninteressant; und natürlich man sollte ein Werk nicht allein deswegen verurteilen, weil es sein Publikum bewusst quält. Das tun auch Lars von Trier im schonungslosen Drama Dancer in the Dark (2000) oder Kei Fujiwara im perversen Psychohorror Ido (2005). Allerdings stehen hinter diesen Filmen Tragödien, die nicht anders erzählt werden können, als qualvoll. Bei Enter the Void ist die Frustration des Publikums eher Selbstzweck; ähnlich wie bei Nicolas Winding Refns Only God Forgives (2013).

Einige Lichtblicke gibt es. Wann immer Noé sexuelle Themen aufgreift, stellt sich ein greifbares Gefühl ein, das die kühle Fassade des Filmes durchbricht. Eine inzestuöse Beziehung zwischen Oscar und Linda wird regelmässig angedeutet. Wenn Oscars Geist in den Kopf von Lindas Freund schlüpft, während er mit ihr Sex hat, dann ist das eine aufwühlend schauderhafte Idee. Leider wird die gleich wieder links liegen gelassen, weil die nächste Kamera-Achterbahnfart absolviert werden muss … Auch das grosse Finale von Enter the Void hat’s in sich: Hier schickt Noé alle Charaktere in ein Love Hotel und lässt sie’s miteinander treiben. Das ist eine faszinierende Überstilisierung der Sexualität, die mit einem Schock endet: Nämlich damit, dass die Kamera direkt in Lindas Vagina platziert wird, während sie von einem Mann genommen wird. Das ist in einem nicht-trivialen Sinne skandalös. Hier zeigt sich die ultimative Erniedrigung des Publikums; es wird im wortwörtlichen Sinne „gefickt“. In dieser einen Szene kommt Noé der Kunst am nächsten. Leider gleitet er danach sofort wieder im Klischee, indem er Oscar als Lindas Kind eine Wiedergeburt schenkt.

Gaspar Noé vollführt ein selbstgefälliges Film-Experiment, das eine banale Geschichte mit einseitigem Stil erzählt. Enter the Void ist das, was Curt Glaser „sauren Kitsch“ genannt hat. Dieser Kitsch grenzt sich vom Angenehmen ab und fällt ins gegenüberliegende Extrem: Statt dem Publikum zu gefallen, misshandelt er es. Dieser Kitsch ist heimtückisch, insofern er oft erfolgreich so tun kann, als wäre er Kunst. In Wahrheit ist Enter the Void aber nicht viel gehaltvoller, als dezidiert süsser Kitsch wie Beauty and the Beast (2017). Er verdeckt die Leere nur mit pseudo-ästhetischer Augenwischerei. Punktuell mag sich in dieser audiovisuellen Orgie verlieren. Unterm Strich ist sie aber nicht viel mehr als mutiger, manierierter Unsinn.

3/10